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Das ist unser Sohn Friedrich. Kaum zu fassen, 13 Jahre ist er jetzt schon alt. Ich kann ihn leider nicht fragen, ob es ihm recht ist, dass hier in den kommenden Monaten jede Woche ein Foto von ihm erscheinen wird, doch ich hoffe, er fände es okay. Friedrich kann weder mit mir sprechen noch mir in die Augen sehen, weil er seinen Blick nicht so lange fixieren kann. Er kann auch nicht allein sitzen oder laufen. Für mich sind meine Bilder ein Versuch, ihn besser zu verstehen, Antworten auf die Frage zu finden:
Wer bist Du?
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In den ersten Tagen durften meine Frau und ich unser Kind aus Angst vor Infektionen nicht küssen. Das war schwer für uns. Immerhin konnten wir ihn uns auf die Brust legen, so dass er den Herzschlag fühlen konnte. Stundenlang.
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Es war ein heißer Sommer in Ungarn, als wir dort mit Friedrich die Therapie begannen. Jeden Monat flogen wir für einen Therapieblock von sieben Tagen nach Budapest. Kurz gesagt geht es bei dieser Methode darum, die Muskeln zu lockern und gesunde Bewegungsmuster einzuschreiben. Es war eine harte Zeit, aber aus heutiger Sicht kann ich sagen, es hat sich gelohnt.
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Mit der Zeit kamen immer mehr merkwürdige Geräte in unseren Haushalt. Nicht immer verstanden wir sofort, was wir damit anfangen sollten, geschweige denn, wo wir sie hinräumnen könnten.Das ist beispielsweise ein Stehständer. Er ist aus Gusseisen, voller Schnallen und Schrauben, ein bisschen erinnert er mich an die spanische Inquistion. Kinder, die nicht Stehen oder Sitzen können, brauchen ihn aus vielerlei medizinischen Gründen. Die ersten Jahre hatten wir noch Hoffnung , dass ein Wunder geschieht und Friedrich aufsteht und läuft. Der Stehständer war ein Symbol für uns, dass dies nicht passieren würde.
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Während der Schwangerschaft fuhr ich auf einer Reportagereise nachts mit dem Zug durch Indien und hörte einen kleinen Jungen Mundharmonika spielen. Das war so bezaubernd, dass ich dort eine kaufte. Ich habe sie Friedrich zu seinem ersten Geburtstag geschenkt, weil ich mir gewünscht hatte, er würde auch einmal so schön damit spielen können.
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Mit neun Monaten fing es an: Friedrich hatte Krämpfe, die ihn am ganzen Körper steif werden ließen. Sie waren schmerzhaft und verstörten ihn sichtlich.Auf dem Bild ist er vier, damals waren es bis zu 15 Anfälle täglich. Heute sind es zum Glück weniger. Sie kamen gleich nach dem Aufwachen und waren so erschöpfend, dass er danach wieder einschlief - und beim nächstenAufwachen fing alles wieder von vorne an. Trotzdem musste das Leben weitergehen, und wenn meine Frau nach Tagen endlich den richtigen Sachbearbeiter der Krankenkasse an der Strippe hatte, musste das Gespräch geführt werden, egal wie es Friedrich ging.
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Wir schauen unseren Sohn oft lange an, weil wir nicht glauben können, dass seine großen Augen uns nicht sehen können. Weil es dort, wo die Bilder im Gehirn entstehen, ständig blitzt und donnert.
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Nach vielen trübenTagen scheint wieder die Sonne, und Friedrich jauchzt vor Freude. Oft werde ich gefragt, wie es ihm geht, ob er glücklich ist. Ja, das ist er. Wenn er die Stimmen der Menschen hört, die ihn lieben. Wenn man ihm ein Küsschen auf den Hals gibt, an eine Stelle unter dem Kiefer. Wenn er ein Ei oder sogar ein Stück Schweinebraten essen darf. Wenn er Musik hört, die er mag. Wenn er im Wasser strampelt. Wenn er bei uns ist. Dann ist er glücklich. In seiner Welt.
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Wenn das Wasser warm genug ist, fühlt er sich völlig frei. Ich hoffe, ich kann ihn noch lange halten.
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Einmal fotografierte ich Friedrich und seine Kindergartenkumpels, allesamt schwerbehindert. So, dass ihre Behinderung nicht zu sehen ist. Viel zu oft werden sie auf ihren Befund reduziert und nicht als das gesehen, was sie zuerst sind:
Kinder.